Fragen zur Aktualität der Kategorialen Bildung in Bezug zur Interdisziplinären System-Bildung.

Von Wilhelm Walgenbach

In welchem philosophischen und geschichtlichen Zusammenhang stehen Begriffe, die sich etabliert haben, um die fortschreitende Entwicklung des individuellen Bildungserwerbs beschreibend zu erfassen ?

In der modernen Informationsgesellschaft, mit einer weltweit vernetzten Verfügbarkeit der Wissensinhalte und dem alltäglichen Zugriff auf eine „Künstliche Intelligenz“ erhält die „Entwicklung der Bildung des Individuums“ eine neue bildungstheoretische und begriffliche Aufmerksamkeit in der Gesellschaft. In diesem Sinn immer noch zeitgemäß erscheinen die Möglichkeiten der kategorialen Bildung , um die aktuellen, lebenspraktischen Bildungsprozesse begrifflich zu fassen.

Wolfgang Klafki verwendet in seiner Theorie der kategorialen Bildung zwei wesentliche Kategorien:

  1. Materiale Bildung: Sie bezieht sich auf die Inhalte und das Wissen, das ein Individuum erwirbt. Es geht darum, zentrale kulturelle und wissenschaftliche Schlüsselbegriffe zu verstehen, die das Weltbild prägen. Inhalte und Wissen, die als wesentlich für die Bildung angesehen werden.

2. Formale Bildung: Diese zielt darauf ab, die individuellen Fähigkeiten, Fertigkeitenund Denkweisen eines Menschen zu fördern. Hierbei steht die Selbstentfaltung und die Entwicklung kritischer Reflexionsfähigkeiten im Vordergrund. Diese fokussieren auf die Entwicklung von Fähigkeiten und Kompetenzen, wie kritisches Denken der Problemlösungsfähigkeiten.

Die kategoriale Bildung kombiniert diese beiden Ansätze zu einer Synthese. Ziel ist es, dass der Mensch nicht nur die Welt begreift, sondern auch durch Bildung sich selbst entdeckt und in der Lage ist, aktiv und kritisch auf die Welt einzuwirken. Philosophisch steht Klafkis Theorie in der Tradition des deutschen Idealismus, ins besondere bei Denkern wie Johann Friedrich Herbart und Wilhelm von Humboldt.

Klafki orientierte sich am Bildungsideal der Ganzheit, das sowohl die intellektuelle als auch die moralische Entwicklung eines Menschen umfasst. Seine Theorie greift zudem Themen der Aufklärung auf, wie die Fähigkeit zur Kritik und die Verantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung. Wolfgang Klafki entwickelte die Theorie der kategorialen Bildung, die darauf abzielt, Bildung als einen Prozess zu verstehen, bei dem der Lernende sowohl die Welt als auch sich selbst in einer neuen Weise erschließt.

Eine weitere Kategorien, die Klafki in seiner Theorie verwendet, das Elementare: Dies bezieht sich auf grundlegende Inhalte oder Prinzipien, die exemplarisch für größere Zusammenhänge stehen. Besonders interessant erscheint das Generativ-Kategoriale: Dies beschreibt die Fähigkeit, durch das Lernen neue Kategorien des Verstehens zu entwickeln, die sowohl auf die Welt als auch auf das eigene Denken angewendet werden können.

Deutlich erkennbar in Klafkis Ansatz, der besondere Idealismus durch Denker wie Johann Friedrich Herbart und Theodor Litt. Herbart betonte die Bedeutung von Bildung als Prozess der Charakterbildung und des Verstehens, während Litt die Dialektik zwischen Individuum und Gesellschaft in den Mittelpunkt stellte. Klafki verband diese Ideen mit einer modernen Perspektive, die Bildung als kritisch-konstruktiven Prozess versteht.

Gibt es Klassifikationen von Kategorien und gibt es eine neuere Entwicklung zu operativen Kategorien, die produktiv sind, wenn man Bildungsprozesse als Teil einer Systembildung versteht?

Das ist eine Frage, die Klafkis Überlegungen mit der aktuelle Situation heute verbinden könnte. Wolfgang Klafki entwickelte die Theorie der kategorialen Bildung, die darauf abzielt, Bildung als einen Prozess zu verstehen, bei dem der Lernende sowohl die Welt als auch sich selbst in einer neuen Weise erschließt.

Das macht Klafkis Überlegungen so wertvoll für die Betrachtung heute, Er bereitet den Weg vor, die Bildungsprozesse als Selbsttätigkeit im Kontext von Zusammenhängen eines interdisziplinären Informations und Bildungs-Systems zur Erzeugung des persönlichen Wissens zu betrachten. Vgl,; „ Das Pädagogische Grundproblem und die Theorie der Kategorialen Bildung“ in W. Walgenbach, „Interdisziplinäre System-Bildung“. Peter Lang Verlag F. a.M. 2000, S.31.

In Bezug auf operative Kategorien, die für Systembildungen produktiv sind, gibt es Ansätze, die sich mit der Weiterentwicklung von Kategorien im Kontext der Systemtheorie beschäftigen. Besonders in der neueren Systemtheorie, wie sie etwa von Niklas Luhmann geprägt wurde, spielen operative Kategorien eine zentrale Rolle. Diese Kategorien sollten Fähigkeiten beschreibbar machen, die geeignet sind, komplexe Systeme zu analysieren und zu strukturieren, und ermöglichen, Differenzierungen und Verbindungen innerhalb eines Systems zu erfassen und zu verstehen. Die angesprochene „Selbsttätigkeit“ ist besonders dann Interessant, wenn in Problemlösungsprozessen die Entwicklung des Wissens Teil des Systems ist, in dem sich die Problemstellung befindet. Vgl.: „Systemtheoretische Begrifflichkeit und Kausalpläne“, in W. Walgenbach, „Interdisziplinäre System-Bildung“. Peter Lang Verlag F. a.M. 2000, S.77.

Interressant ist in diesem Zusammenhang die epistemologische Systembildungen, wie sie in modernen Forschungsansätzen (Rheinberger, Deisinger , Französische Epistemologie) dargestellt wurden und Anregungen zu neuen Sichtweisen ergeben haben.

Auch hat diese Zielsetzung einen Hinblick auf Wilhelm von Humboldt, der seine Theorie in einem Fragment „Theorie der Bildung des Menschen“ niedergelegt hat.

W.v.H. ging nie in eine Schule, sondern wurde zusammen mit seinem Bruder Alexander von gefragten Forschern unterrichtet. In seinem Theorie-Fragment geht er nicht einmal auf die Schule ein, zitiert er nicht einmal andere Wissenschaftler. Dagegen ist sein besonderes Interesse die Kategorie der >Freiheit< und der >Individualität<. Darin steckt der Tatbestand, daß seine Bildung ist nicht nur theoretisiert, sondern gelebt: Er lebt intensive Beziehungen mit bestimmten Frauen.

Über sein Leben gibt es eine Vielzahl von Büchern, einige zeigen die Suche, Suche nach der Einheit von Leben und Bildung, etwa von Michael Maurer: Wilhelm von Humboldt – Ein Leben als Werk“ (man kann ergänzen: als gelebtes Werk) oder die Auffassung von Bildung als >Bildung als Provokation< (Liessmann).

In der modernen Forschung der „Epistemologische Systembildung“, insbesondere bei Denkern wie Hans-Jörg Rheinberger und der französischen Epistemologie (z. B. Gaston Bachelard oder Michel Foucault), wird Wissen oft als dynamischer Prozess verstanden. Rheinberger betont in seinen Arbeiten zur Wissenschaftsgeschichte die Rolle von Experimentalsystemen, die nicht nur Wissen generieren, sondern auch epistemische Dinge hervorbringen – also Objekte, die in einem bestimmten Kontext Wissen ermöglichen. Diese Perspektive könnte inspirierend sein, um Systeme zu gestalten, die nicht nur statisch Wissen abbilden, sondern aktiv neue Erkenntnisse fördern.

Die französische Epistemologie, insbesondere bei Bachelard, legt Wert auf die Brüche und Transformationen im Wissen. Dies könnte Anregungen geben, wie Systeme flexibel und offen für Veränderungen gestaltet werden können. Vgl.: „Orientierungen für die Entfaltung epistemologischer Heureme“, in W. Walgenbach, „Interdisziplinäre System-Bildung“. Peter Lang Verlag F. a.M. 2000, S.182.

Ist die Aufmerksamkeit für „Wilhelm von Humboldt und die gelebte Bildung“ eine Rückbesinnung und/oder ein nachhaltiger Entwurf einer Bildung zur notwendigen Sicherung der demokratischen Freiheit unserer Zeit?

Humboldts Konzept der Bildung als Einheit von Freiheit und Individualität ist tatsächlich einzigartig. Seine Idee, dass Bildung nicht nur ein theoretischer Prozess, sondern ein gelebtes Werk ist, spiegelt sich in seinem Leben wider. Besonders war seine Bildung stark geprägt von persönlichen Beziehungen und einem tiefen Streben nach Selbstverwirklichung. Michael Maurers Buch Wilhelm von Humboldt – Ein Leben als Werk unterstreicht diese Verbindung zwischen Leben und Bildung.

Konrad Paul Liessmanns Bildung als Provokation bietet eine kritische Perspektive auf das moderne Bildungssystem und plädiert für eine Rückbesinnung auf klassische Bildungsideale. Liessmann argumentiert, dass Bildung nicht nur funktional sein sollte, sondern auch eine Herausforderung und Provokation darstellen muss, um den Menschen in seiner Ganzheit zu fördern. Vgl.: „Soziale Organisation von Selbsttätigkeit: „ich“ und „das Andere“.“, in W. Walgenbach, „Interdisziplinäre System-Bildung“. Peter Lang Verlag F. a.M. 2000, S.48.

Besonders an dieser Stelle: „Der Prozeß der Erzeugung von Neuem läuft in jedem selbsttätigen Subjekt individuell ab und führt zu Subjektiv-Neuem, das dann mit dem (…..) Objektiv-Neuem zu vermitteln ist. (…..) Andererseits ist aber in der Selbsttätigkeit von Anfang an ein Keim zur Distanzierung, zur Konfrontation mit „dem Anderen“ angelegt.